Theorie von Wang Zongyue
„Tai Chi/Taiji entsteht aus Wuji, der Leere, aus Tai Chi entstehen die beiden polaren Kräfte des Universums, Yin und Yang.
In der Bewegung teilen sich Yin und Yang voneinander, harmonisieren sich und schließen sich wieder zusammen.
Es soll nur soviel Bewegung und Kraft ausgeübt werden, wie unbedingt nötig, weder zu viel noch zu wenig.
Beugen und Strecken wechseln einander ab, dabei folgt man den Bewegungen des Gegners. Auf diese ist die Konzentration gerichtet, nicht auf die eigene Bewegung.
Mit „Zou“ (Gehen/Folgen) bezeichnet man die Technik des sanften Ausweichens eines kräftigen Angriffes des Gegners.
„Zhan“ (Kleben/Haften) bezeichnet die Technik einen Angriff zu parieren, indem man der Bewegung des Gegners anhaftet und sie in Richtung deren Kraftausübung fortführt.
Bewegt sich der Gegner schnell, so muss man mit schnellen Bewegungen antworten, bewegt er sich langsam, so folgen wir ihm langsam.
Selbst wenn die Art der Bewegungen des Gegners sich ständig ändert, dürfen wir das Prinzip unserer Paraden nicht verlassen.
Durch beständiges Üben begreift man sukzessive, wie man die Kräfte nutzt und fließen lässt.
Mit der Zeit erfasst man nicht nur das Prinzip, sondern kann es geschickt anwenden.
Nur durch dauerhaftes, fleißiges und intensives Üben kann man die raffinierten, in die Tiefe gehenden Wirkungen des Tai Chi Chuan spüren und vollständig nachvollziehen.
Die Nackenmuskeln sollen entspannt sein, damit das Chi den Kopf erreicht.
Durch Bauchatmunt leiten wir Atem und damit das Qi in den Dantien (Mitte des Unterbauches, wo sich die Urkraft des Menschen lokalisiert) und konzentrieren es dort.
Außen soll man nicht schwanken oder die Haltung verlieren, das Gleichgewicht muss bewahrt bleiben. Im Inneren soll man das Ying und Yang in ewiger Balance steuern.
Wenn auf die linke Körper-Seite Kräfte ausgeübt werden, z.B. ein Stoß, soll man die linke Seite entspannen, die eigene Kraft auf der linken Seite zurückweichen lassen. Das Gleiche gilt für die Rechte Seite. So wird die Kraft des Gegners ins Leere gelenkt und der Angriff vereitelt.
Wenn der Gegner in der Aufwärtsrichung angreift, leite seine Kraft weiter aufwärts, wenn er in Abwärtsrichtung angreift leite sie abwärts. Wenn der Gegner sich dir nähert lenke die Kraft weiter in die Angriffsrichtung, sodass sein Ziel sich unzugänglich weit von ihm entfernt.
Zieht der Gegner sich zurück, folge ihm und verkürze die Distanz.
Die Körperwahrnehmung soll so präzise sein, dass man sogar eine Feder oder eine Fliege spüren würde, die sich auf der Haut niederließe und ihr rechtzeitig ausweichen könnte.
Der Gegner wiederum, sollte meine Kraft nicht wahrnehmen, während ich seine spüre und kontrolliere.
So entwickelt man eine überragende Kampfkunst, die einen für jeden Gegner unbesiegbar macht.“
In allen chinesischen Kampfkünsten gibt es verschiedene Familienstile. Obwohl die Bewegungsmuster der jeweiligen Stile unterschiedlich sind folgen sie doch meist dem selben Prinzip: durch körperliche Überlegenheit einen schwächeren Gegner zu besiegen. Die Stärkeren besiegen die Schwächeren, die Langsameren verlieren gegen die Schnelleren. Sie trainieren Kampfinstinkt, Schnelligkeit und Muskelkraft zur kompetitiven Anwendung. Das innere Verstehen der Bewegungsabläufe, das Forschen und Kennenlernen interner Kräfte wird dabei vernachlässigt.
„Mit der Kraft von vier Liang (50g) kann man ein Gewicht von tausend Jin (500g) rücken“
Fasst man diesen Tai-Chi Spruch ins Auge und denkt an die Anektdoten, in denen ein 70 Jähriger Tai Chi –Chuan Meister den Angriff mehrerer junger Männer abwehren konnte, wird deutlich, dass es im Tai Chi nicht nur um physische Kraft und Geschwindigkeit gehen kann. Solange man stabil aufrecht steht, sich frei um eine Achse bewegt „wie ein Rad“, dabei das Gleichgewicht „wie eine Balkenwage“ verlagern kann und immer nur eine Seite belastet, kann man jedem Angriff flexibel folgen. Ruht das Gewicht dagegen auf beiden Beinen, ist die Beweglichkeit beschränkt.
Selbst Menschen, die seit Jahren Tai Chi üben können von Gegnern leicht mit Gewalt fixiert und besiegt werden, wenn sie nicht gelernt haben, ihre Kraft frei anzuwenden und übertragen zu können. Meist liegt der Fehler im„doppelten Gewicht “, d.h. das Gewicht wird nicht wirklich vollständig auf einen Fuß verlagert, sondern ruht, bewusst oder unbewusst, auch zum Teil auf dem anderen Fuß. Um dies zu vermeiden muss man die Theorie von Yin und Yang gänzlich nachvollziehen. Nur dann kann man „haften“ (Zhan) und das heißt folgen (Zou) und folgen heißt haften.
Yin und Yang können nicht voneinander getrennt werden. Sie stehen einander als Widerpart entgegen, sie ergänzen und stärken einander gegenseitig. Nur wer das versteht, versteht auch das Prinzip der Kraftanwendung. Dann erst wird das Üben präzise und geschickt. Nur durch ein klares Bewusstsein über diese Prinzipien kann man den Zustand erreichen, indem man die Übungen nach eigenem Willen gestalten und die Kampfkunst frei anwenden kann.
All diese Prinzipien sind sehr leicht miss zu verstehen. Z.B. führt die Prämisse: „folge dem Gegner selbstlos“ dazu, dass Übende den eigenen Körper vergessen und den Gegner unkontrolliert angreifen. Eine winzige Ungenauigkeit im Verständnis kann zu entscheidenden Fehlern führen. Daher sollte man achtsam und unter qualifizierter Anleitung lernen.